War ich Mobber? War ich Opfer?

Heute geht es mal wieder um das Thema Selbstliebe, Selbstakzeptanz und so weiter. Und eben auch um nicht so schöne Tatsachen, die Teil meiner Biographie sind. Ehrlich gesagt habe ich nie jemanden aus meiner alten Schulzeit so richtig wiedergetroffen, die sind fast alle in der Heimat geblieben, ich lebe heute einige Stunden von zuhause entfernt. Und ich habe allgemein das Gefühl, es ist ein tabu, über Mobbing zu reden. Natürlich kann man sagen: "Mobbing ist böse, sollte man nicht machen." Aber keiner will gemobbt haben? Keiner will sich zu einer Mittäterschaft bekennen?
Es gibt da eine sehr traurige Geschichte, wo ich gar nicht sagen kann, ob ich Opfer oder Täter bin. 

Ich hatte mehrfach das Problem allein in Klassen zu kommen, in denen es schon feste Cliquen gab. In der Realschule hab ich mich auch wirklich gefühlt, als hätte ich ein Doppelleben. Denn ich hatte täglich die Musik nach der Schule und lebte da auf und war in der Schule total passiv und wurde ausgegrenzt, wollte aber auch mit Komasaufen und Beziehungen mit deutlich älteren Typen als 12jährige nichts zu tun haben. Ich war sehr Jung eingeschult und meist die Jüngste in der Klasse, in der Realschule kamen dann viele Sitzenbleiber hinzu, da entstand schon ein großer Altersunterschied.

In der 6. Klasse lernte ich Zarah kennen, Zarah war halt echt eine faszinierende Person, einerseits total frühreif und quasi eine Schlampe mit Attitüde, das hatte schon fast was Feministisches. Viele Mädchen hassten sie total, weil sie Angst hatten, dass sie Freunde stiehlt. Aber Zarah stand darüber. Andererseits hatte ich großes Mitleid mit ihr, ihr Stiefvater war total irre und behandelte sie und ihre Schwester wie Dreck, sie floh einfach gerne aus dieser Situation und war viel am Party machen und ältere Jungs abschleppen. Ich war damals so mehr oder weniger die erste mit Internet auf dem Dorf, in der Zeit hatte ich viele Nutzfreunde, die surfen wollten. Das war bei uns auf dem Dorf so üblich. Mal war man bei dem mit der N64, mal bei mir, ich hatte Internet.

Zu einem Zeitpunkt, wo ich eine Schülerin namens Geraldine noch nicht kannte, machte Zarah eine Profilseite und nannte sie "IchhasseGeraldine" und alle fanden es witzig, man suchte ein lustiges Profilbild raus von so einer Scherzseite. Die Zeit verging, 3 Jahre später war Zarah sitzen geblieben und Geraldine eine Klassenkameradin von mir. Die ganze Stufe kannte die Seite, auch Geraldine selbst, Zarah hatte ihr erzählt, ich hätte die Seite gemacht. 

Geraldine wurde extrem viel gemobbt von Mitschülern, teils richtig heftig. In der 7. Klasse hat sie das auch mal in Form von körperlicher Gewalt an mir ausgelassen und mich mit ihren Buffalos heftigst getreten, so dass ich deswegen sogar zum Arzt musste. Besonders in der 7. Klasse war ich immer für mich und wenn andere Leute auf Geraldine herumhackten, dachte sie wohl, dass sie auf mir rumhacken kann. Andere versuchten es auch, erzählten Sachen wie ich hätte keine Unterwäsche an oder würde es mir mit meinen Schreibgeräten besorgen, weil ich keine Lust auf Männer mit damals 11 Jahren hatte. Aber das war eben nichts gegen die Mobbingattacken gegen Geraldine, sie polarisierte viel mehr. 

Geraldine und ich hatten Streit, weil wir nur eine 3 für ein Referat bekommen hatten und ich war sauer, weil sie nichts dazu beigetragen hatte. Also verpetzte sie uns. Meine Lehrerin ging total ab, die Seite wurde gelöscht, nicht von mir, denn ich hatte nie die Zugangsdaten gehabt. Und es wurde in der Klasse besprochen. Inzwischen hatte ich eine kleine Art von Outsiderclique und Verena meinte: "Ey Bettina, hab mal den Arsch in der Hose, du weißt, dass es Zarah war." Ich sagte der Lehrerin also wahrheitsgemäß, dass es Zarah war, aber ich Mitschuld trug, weil die Seite bei mir entstanden war und ich es damals auch witzig fand, wir empfanden es mit damals 10 oder 11 eben nicht als Mobbing, aber ich sagte eben auch, dass alle über diese Seite Bescheid wussten, selbst Geraldine und dass ich es blöd finde, dass Geraldine mir nun damit eins auswischen wollen. 

Zarah heulte nur rum und stritt alles ab, sie sei das Opfer und ich hätte sie auch gemobbt und zu Dingen gezwungen, bei all den Gesprächen im Lehrerzimmer konnte man nicht normal mit Zarah reden. Ich war irgendwann so sauer und fand meine Schule damals ohnehin schlecht, weil wir einfach Brennpunktschule waren und meinte so etwas wie: "Ich habe keinen Bock mehr auf Zarahs Krokodilstränen. Bitte werfen sie mich von der Schule, es geschah ja bei mir Zuhause und ich habe es nicht verhindert." 
Tja, die größere Strafe war, dass ich an dieser Schule geblieben bin und Zarah und ich bekamen je eine 5 im Sozialverhalten. Irgendwie fand ich das blöd, weil die Lehrer hatten keinerlei Ahnung vom Internet. Warum hatten nicht alle in der Stufe eine 5 in Sozialverhalten bekommen? Jeder wusste davon und keiner hatte dagegen was gemacht, ein Mitschüler hatte die Seite sogar auf seiner Homepage verlinkt. Man konnte sehen, dass die Seite bereits einige Jahre alt war und inaktiv. Zudem wusste wirklich jeder davon und das Gästebuch war voller Einträge von Mitschülern mit Klarnamen. Natürlich klingt ein Account namens "IchhassePerson" nicht nach viel, aber im Jahr 2003 war das schon heftig. Letztendlich habe ich wirklich nie wieder mit Zarah gesprochen und bei zumindest meinem Umfeld war sie auch komplett unten durch. 

Aber letztendlich frage ich mich auch schon, warum ich Zarah nicht mal die Meinung gesagt habe? Sie hatte oft den Drang,Scheiße zu bauen und ich war da meist Zaungast. Ich habe auf jeden Fall auf meinen Erfahrungen gelernt und bin ehrlich, auch wenn es wehtut. Mit Geraldine nahm es ein böses Ende. Sie wechselte auf die Hauptschule, war dann in einer stationären Einrichtung. Ich wechselte auf eine Schule in der nächsten Stadt nach der Realschule, um mein Abi zu machen und plötzlich waren einige meiner "Peiniger" wirklich nett zu mir für das Jahr, da mein Notenschnitt von erst 3,8 und dann Abschluss 2,8 (weil ich mir mal Mühe gab) auf 1,2 sprang und man bei mir gut Hausaufgaben abschreiben konnte. 

Da kam Geraldine und bedrohte uns alle, insbesondere aber die ehemaligen Mobber. Sie hatte auch andere bedroht, hörte ich von meiner besten Freundin, die drei Jahre älter ist als ich. Geraldine habe ich danach nie wieder gesehen, angeblich war sie wieder stationär in psychischer Behandlung. 

Und ich muss schon zugeben, dass ich mich schuldig fühle und frage mich, ob es anderen auch so geht. Hauptsächlich, weil ich so passiv war und mir damals oft dachte: "Naja, ich werde dann nicht fertig gemacht." Und es haben ja viele weggesehen, auch oft die Lehrer. Wir hatten einen alten Mathelehrer, ich weinte und meine Tischnachbarin sagte auch "Bettina weint." Und er meckerte: "Ich bin hier für Unterricht. Lass sie heulen. Das ist doch ihr Problem." und drehte sich um und schrieb Aufgaben an die Tafel. Und so war die Einstellung der meisten Lehrer bei uns. Hm, wer hat also schuld? Ich trage irgendwie meinen Teil auch dazu bei, das ist klar. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen ... Aber ich kann zumindest heute einen Beitrag leisten und diese Geschichte erzählen. Und ehrlich gesagt würde es eben mich interessieren, ob nicht jeder von uns eine solche Geschichte hat oder mein Heimatdorf einfach "so richtig ghetto" ist, wie viele in unserer Region sagen.

Photo by Sydney Sims on Unsplash

2 Kommentare:

  1. Es ist witzig, wie deine angeblichen freunde vom gym auf Instagram abgehen, die Rentner gehören doch eher auf fb =D
    Die Snobs haben gut reden, die waren auf dem gym, das war dann wahrscheinlich nicht mit Volleyball im Klassenzimmer

    AntwortenLöschen
  2. Cool, dass du darüber schreibst. das war damals schon ein krasses Jahr, ich war ganz froh, dass ich davon nur in deinen Briefen gelesen hab ;-)
    aber es ist cool dass du darüber schreibst.

    LG Kata

    AntwortenLöschen

INSTAGRAM FEED

@aufgerouget